Drei Jahreszeiten in knapp einer Woche.
Während des ODS-Forumstreffens (outdoorseiten.net) in Hilders sind wir mal ein paar Stunden ausgebüxt und zum Thüringer Rhönhaus gelaufen. Die Gegend gefiel uns so gut, dass sofort klar war: Dort müssen wir mal eine längere Wanderung unternehmen. Im Oktober 2016 ist es dann schon soweit.
Unsere Tour soll von Nord nach Süd über die gesamte Rhön verlaufen. Wir wählen einen Weg über den östlichen Teil, die lange Rhön, der im Groben am "Hochrhöner" (Ostvariante) orientiert ist, halten uns aber nicht sklavisch daran.
Die Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Höhenzug sind eher spärlich gesät. Wir wollen auch nicht zum Übernachten ins Tal absteigen, deshalb nehmen wir Zelt und Wanderwagen mit.
Als Startpunkt der Wanderung wählen wir Bad Salzungen und wollen ursprünglich innerhalb einer Woche bis Münnerstadt wandern. Von Münnerstadt nach Bad Salzungen kann man gut mit der Bahn fahren. Wir reisen schon am Vortag an, sehen uns das kleine Städtchen Münnerstadt an, gehen lecker essen und übernachten auf dem ruhigen Wohnmobilstellplatz.
Am nächsten Morgen geht's dann mit der Bahn nach Bad Salzungen. Dort gibt es ein sehenswertes Solebad mit Gradierwerk. Wir machen noch einen großen Bogen durch den Stadtkern und um den Burgsee. Am Rande des Städtchens stoßen wir dann auf den Hochrhöner. Das Wetter ist traumhaft spätsommerlich und wir sind im T-Shirt unterwegs. In Langenfeld gib's eine Mittagsrast mit Würzfleisch und Soljanka und einem leckeren Rhönbierchen. Die Tour hat begonnen. Durchs Polsambachtal geht es stetig bergauf zum Pleß. Auf dem Weg ist es sehr ruhig, aber am Pleß herrscht an dem sonnigen Sonntag doch einiger Trubel. Der Thüringer Rhönverein versorgt mit Würstchen und Getränken. Vom Pleß hat man in Richtung Westen eine schöne Aussicht in die Kuppenrhön und kann auch die Kalihalden "Monte Kali" und "Kalimandscharo" in der Ferne sehen. Für einen Rundumblick gibt es den Pleßturm.
Unsere erste Wanderübernachtung wollen wir eigentlich auf dem Campingplatz am Schönsee verbringen. Der ist allerdings entgegen den Angaben auf seiner Website schon geschlossen und auch die unfreundlichen Dauercamper wollen uns nicht mit Trinkwasser aushelfen. So verlängert sich die erste Tagesetappe um weitere 5 km nach Bernshausen, wo wir auf der Wiese der Pension Rhön-Feeling eine ruhige Nacht verbringen, natürlich nicht, ohne vorher noch leckere Thüringer Klöße zu verputzen.
Tags darauf sehen wir uns das Geotop "Bernshäuser Kutte" an, begegnen an einem Gestüt ein paar betrunkenen Pferden (vergorene Äpfel?) und steigen hinauf zum Horn. In der Umgebung des Gestütes wird der Wanderweg leider auch als Reitweg missbraucht und ist zeitweise ziemlich matschig und zertrampelt. Erst nach dem Horn bessert sich der Zustand. Der Abstieg vom Horn führt durch eine schöne Trockenrasenlandschaft und erinnert uns ein kleines bisschen an das Altmühltal.
In Glattbach begegnen wir dem Rhön-Paulus und schon wieder geht es steil bergauf in Richtung Gläserberg: beim Aufstieg von Norden kommt man sich teilweise vor wie in den Voralpen. Die Dermbacher Hütte auf dem Gläserberg hat nur am Wochenende geöffnet, wir haben selbst genügend Proviant dabei für eine windige Gipfelrast. Der Gläserberg ist auch der höchste Punkt dieser Etappe.
Langsam wird es Zeit, sich ein geeignetes Plätzchen für die Nacht zu suchen. Vorher heißt es aber noch Trinkwasser zu beschaffen. In der Rhön gibt es zwar einer Forschungsarbeit zufolge weit über 2.000 Quellen. Vielleicht liegt es auch am Herbst, wir finden wenig klares, fließendes Wasser. Vorsorglich haben wir uns aus der Topokarte ein paar kleine Bächlein ins GPS übertragen und können so mit Hilfe des mitgebrachten Platypus unser Wasser filtern. Die bewohnten Gegenden liegen in der Rhön meist niedriger, so dass man einige Höhenmeter absteigen müsste, um in der Zivilisation Trinkwasser zu besorgen. Unseren Übernachtungsplatz finden wir dann an einer kleinen Schutzhütte nördlich des Katzensteins. Das Wetter ist inzwischen ziemlich trüb und nur in der Ferne ahnt man in der Dämmerung ab und zu kleine weiße Autoscheinwerfer-Punkte. Der Wind läßt nach, der Nebel hüllt uns bis zum nächsten Morgen ein wie in Watte und es breitet sich eine friedliche Stille aus. Das gefriergetrocknete Essen kann mit der leckeren Thüringer Küche am Vorabend natürlich nicht mithalten, aber unabhängig davon haben wir in "unserer" Hütte einen sehr gemütlichen Abend.
Am Katzenstein begegnen wir den ersten größeren Zeichen unrühmlicher deutscher Geschichte: zuerst den verfallenen Gebäuden einer ehemaligen Grenzkompanie, danach dem "für die Ewigkeit" gebauten, heutigen Hotel Katzenstein, das dort während der Zeit des "Dritten Reiches" ebenfalls für militärische Zwecke errichtet wurde. Hinab durch ein weiteres Tal wandern wir danach wieder bergauf auf einem Kolonnenweg der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Schön zu sehen, wie sich die Natur langsam die ehemaligen Grenzeinrichtungen "einverleibt", die teilweise aussehen wie Grimms Dornröschenschloss ohne Blüten.
Am Horbel verlassen wir für ein Stück den Hochrhöner und folgen einem breiteren Forstweg in Richtung Hexenlinde. Warum der Hochrhöner dort einen ausgiebigen Schlenker mit einigen Höhenmetern bergab und bergauf am Hang macht, hat sich uns nicht erschlossen. Beim Blick zurück sehen wir in immer weiter entfernt den Gläserberg und da das Wetter schön aufgeklart hat, kann man im Norden sogar den Höhenrücken des Thüringer Waldes samt Inselsberg erkennen. Kaltennordheim lassen wir buchstäblich links liegen und wandern statt dessen bergab nach Mittelsdorf. Auch dort ist der Hochrhöner äußerst merkwürdig angelegt und verliert sich ohne Markierung auf einer großen Wiese. Dank GPS finden wir ihn jenseits einer größeren Straße wieder und über ein sehr steiles, jetzt wieder markiertes Stück kommen wir wieder auf den Weg, auf dem wir auch bequem gewandert wären, wären wir in Mittelsdorf einfach geradeaus gelaufen. Auch der Wirt des Thüringer Rhönhauses schüttelt den Kopf, als wir davon erzählen und macht ein paar kräftige Bemerkungen über die Wegeplaner.
Obwohl wir schon gut eingewandert sind, müssen wir auf dem langen, steilen Anstieg zum Ellenbogen eine Rast einlegen, weil wir total außer Puste sind. Die Aussicht am Ellenbogen haben wir vom Frühjahr ganz anders in Erinnerung: Dieses idyllische Plätzchen wird in Zukunft durch eine Anlage zur Touristenbespaßung "verschönert". Schade drum, aber wenn es der Tourismus nunmal so will... Vom Ellenbogen ist es dann gar nicht mehr weit zum Thüringer Rhönhaus. Dort haben wir uns vorab ein kleines Zimmer reserviert, um mal wieder zu duschen und ein paar Socken zu waschen und natürlich um die leckere Thüringer Küche zu genießen.
Am nächsten Morgen starten wir sehr pünktlich, weil wir noch während der Öffnungszeit (bis 11:30 🙂) in der einzigen Einkaufsmöglichkeit entlang unseres Weges ein wenig Proviant nachkaufen wollen. Dieser Einkauf ist ein wirklich besonderes Erlebnis: Die kleine Kaufhalle in Frankenheim steht offensichtlich in einer Zeitblase: Einrichtung, Dekoration und Warenangebot sehen genauso aus, wie wir es von Ostkaufhallen vor 30 Jahren in Erinnerung haben. Es ist alles da, wir kaufen eine Tafel der einzigen Sorte Schokolade, eine der wenigen Flaschen Wein und auch der Apfel im fast leeren Gemüseregal hat sehr wenig Gesellschaft. Brot und Brötchen sind abgezählt für die örtliche Bevölkerung, aber eine der beiden älteren Damen, die dort vor Jahrzehnten schon ihre Ausbildung gemacht hat, holt noch ein Brot für uns unterm Ladentisch hervor. So schön kann Nostalgie sein. Die Information über diesen Einkaufstempel habe ich übrigens vorher in einer kleinen örtlichen Gaststätte mit dem schönen Namen "Schweinebucht" telefonisch erhalten. Und zum Dank dafür holen wir uns dort noch eine Bratwurst zur Stärkung für den weiteren Weg.
Der Zeitsprung ist auch eine gute Einstimmung auf das nächste Wegstück. Direkt auf der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze sind viele Informationen zusammen getragen worden und es gibt ein Stück erhaltene Grenzanlagen samt Turm, Sperrzaun, Sperrgraben usw. Die Krönung der Absurditäten dort ist die sogenannte "Badehose". Das war ein Stück DDR-Territorium, eine einmal im Jahr gemähte Wiese jenseits der Sperranlagen, auf der Westseite nur durch Schilder gekennzeichnet. Sie wurde aber bewacht und verteidigt, als ginge es um Leben oder Tod. So ein Irrsinn.
Gar nicht weit entfernt kommen wir zu einer ganz anderen Sehenswürdigkeit, dem Schwarzen Moor. Das Schwarze Moor ist durch einen bequemen Rundweg erschlossen. Wir stellten unsere Wanderwagen im Imbiss unter und nehmen uns genügend Zeit für diese schöne Runde. Im Imbiss erfahren wir dann auch, dass die Rhön nicht zwei-, sondern dreigeteilt war und ist. Es gab nicht nur den Konflikt zwischen Ost und West, sondern es bestehen auch heute noch Rivalitäten zwischen dem hessischen, thüringischen und bayerischen (fränkischen) Teil der Rhön. Komische Leute.
Unser Weg führt uns weiter über aussichtsreiche Heidelandschaften auf dem Höhenzug der Langen Rhön. Zwischendurch müssen wir wieder Wasser finden und auch dort gibt es nur ein kleines Rinnsal, das wir vorher schon herausgesucht haben. Ursprünglich wollten wir an dem Tag noch bis zum Heidelstein, finden aber unterhalb wieder eine Schutzhütte und die passende kleine Zeltwiese und da das Wetter sich schon ziemlich eingetrübt hat, schlagen wir dort unser Nachtlager auf.
Der nächste Tag begrüßt uns mit noch trüberem und eisigem Wetter. Wir kochen uns in der Schutzhütte nach dem Frühstück noch warmen Tee für den Tag und sind froh, dass wir genügend warme Kleidung dabei haben. Am Heidelstein fällt dann auch unser erster Schnee dieses Winters und so ziehen wir mit unseren Wanderwagen Spuren durchs klebrige Weiß. Die Aussicht vom Heidelstein bleibt uns zwar verwehrt, aber diese verfrühte Herbst-Winter-Stimmung hat auch ihren ganz eigenen Reiz. Dass die Rhön ein rauhes Klima hat, dessen sollte sich jeder Wanderer bewusst sein.
Am freundlichen Nabu-Haus am Roten Moor legen wir eine trockene Rastpause ein, denn inzwischen läuft ein Dauertest unserer Regenbekleidung. Sie hat gut gehalten (Susi trägt Goretex-Vollschutz, Ralf den bewährten Poncho). Auf einen verregneten, kalten Abend im Zelt haben wir dann doch keine Lust und so telefonierten wir kurz mit dem Kloster Kreuzberg, um dort ein Zimmer zu reservieren. Ein Zimmer ist frei, jedoch sollen wir bis spätestens 18 Uhr dort sein. Von der Entfernung sicher kein Problem, aber es geht noch dreimal tief ins Tal und knackige Aufstiege über mehrere Berge hinauf, so dass wir mit hängender Zunge kurz vor Toresschluss am Kloster Kreuzberg ankommen. Der Weg dorthin bietet noch viele schöne Aussichten und hat einen ganz anderen Charakter als vorher auf der Langen Rhön.
Obwohl es ein ganz normaler Wochentag ist, herrscht abends in den Räumen der Klostergaststätte ein Trubel wie am höchsten Feiertag. Die Übernachtungsgäste dürfen abends in einen ruhigeren Bereich umziehen und dort haben wir noch nette und interessante Gespräche, bevor wir uns in unser einfach eingerichtetes, aber sehr angenehmes Zimmer zurückziehen.
Das Kloster Kreuzberg liegt unterhalb des gleichnamigen Gipfels und wir steigen noch vor dem Frühstück auf den "heiligen Berg der Franken". Eine gute Aussicht ist bei dem Wetter nicht zu erwarten, dafür finden wir eher die Stimmung eines düsteren Friedhofs vor. Da müssen wir wohl nochmal bei besserem Wetter wiederkommen. Das Frühstück ist ausgewogen und reichlich, so dass wir uns gut gestärkt auf die weitere Reise begeben können. Der Abstieg führ abwechslungsreich durch den Wald, ist aber stellenweise so steil, dass wir froh sind, unsere Trekkingstöcke dabei zu haben, die ja auch unsere Zeltstangen sind.
Auch am weiteren Weg finden sich mehrere schöne Schutzhütten, falls jemand mal in dieser Gegend übernachten möchte. Zwischen Langenleiten und Premich gibt es die erste öffentliche Wasserquelle am Weg, ein Zapfhahn direkt an einem Trinkwasserspeicher. Im nächsten Örtchen Premich passiert es dann: Eine Bushaltestelle verkündete uns, dass in Kürze ein Bus kommt. Wir erklärten kurzerhand die Wanderlust für befriedigt, der weitere Weg wäre für uns ohnehin sehr zivilisationsnah verlaufen.
Die Rückfahrt nach Münnerstadt entwickelt sich dann noch zu einer kleinen, lustigen Odyssee. Unser Bus fährt bis Bad Kissingen und quer durch die sehenswerte Altstadt, durch die sich ein quirliger Wochenmarkt zieht, marschierten wir Richtung Bahnhof. Auf den Zug müssen wir gar nicht lange warten und ein halbes Stündchen später heißt es umsteigen in einen anderen Zug. Am Bahnhof Ebenhausen gibt es weder eine Anzeige noch Durchsagen und an der Lok des einfahrenden Zuges steht auch die richtige Richtung Erfurt dran. Ohne zu zögern steigen wir in den Zug ein. Die Ausfahrt aus dem Bahnhof verzögert sich ein bisschen. Merkwürdig. Als wir später aus dem Fenster sahen, fällt uns nach einiger Zeit auf, dass wir hier eben schon mal waren. So stehen wir nach kurzer Zeit wieder am Bahnhof Bad Kissingen und verstehen die Welt nicht mehr. Offensichtlich wird der Zug in Ebenhausen getrennt, der vordere Teil fährt nach Erfurt und der hintere Teil nach Bad Kissingen. Zum Glück fahren die Züge von Bad Kissingen in relativ kurzem Abstand. Diesmal steigen wir in den richtigen Zugteil um und kommen wohlbehalten in Münnerstadt an.
Dort laden wir unsere Wanderwagen ins Auto und tuckern in ein paar Minuten wieder nach Bad Kissingen - eine Strecke, für die wir vorher mehrere Stunden gebraucht haben. Der Grund ist schnell erzählt: In der KissSalis-Therme pflegen wir unsere angestrengten Wanderkörper und lassen in verschiedenen Saunen und im Solebecken die schönen Erlebnisse noch einmal Revue passieren.
Von München aus sind wir an Wanderungen und Bergtouren in den Alpen gewöhnt, aber auch die Wanderung durch die Rhön hat durch ihre teilweise knackigen Anstiege durchaus sportliche Aspekte, die man von so einem recht niedrigen Mittelgebirge vielleicht gar nicht erwarten würde. Den üblichen Beschreibungen nach sind wir den Hochrhöner eigentlich in der "falschen" Richtung gelaufen, wir wollten jedoch lieber der Herbstsonne entgegen wandern, als sie im Rücken zu haben. Als kleinen Nebeneffekt können wir jetzt sagen, wie viele Wanderer in dieser Woche in der anderen Richtung unterwegs waren: es waren genau sieben. Nicht gerade üppig für einen Premiumwanderweg in der Herbstsaison. Wir fanden es aber super, dort so einsam unterwegs zu sein und können die ganze Wanderung nur rundum empfehlen. Und unsere Wanderwagen haben sich ein weiteres Mal bestens bewährt.